Wenn der Kopf zur Fließband-Arbeit verkommt
Mit seinem neuen Roman „Content“ legt der österreichische Autor Elias Hirschl eine ebenso unterhaltsame wie tiefgründige Satire über die Auswüchse der digitalen Arbeitswelt vor. Im Mittelpunkt steht ein Ich-Erzähler, der als „Content Creator“ für die dubiose Firma Smile Smile arbeitet und täglich sinnentleerte Listicles und andere Clickbait-Inhalte für eine Online-Plattform produzieren.
Mit scharfem Blick und schwarzem Humor seziert er die Absurditäten der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie und ihrer Auswirkungen auf Psyche und Gesellschaft. Dabei gelingt es ihm, komplexe Themen wie Entfremdung, Sinnsuche und den Verlust von Authentizität in einer von Algorithmen gesteuerten Welt auf unterhaltsame Weise zu verhandeln. Die Handlung spielt in einer nicht näher benannten Industriestadt, deren Niedergang symbolisch für den Strukturwandel von der analogen zur digitalen Arbeitswelt steht.
In der Content-Fabrik
Anschaulich schildert Hirschl den Kontrast zwischen den verfallenden Industrieruinen und den sterilen Büros der Content-Fabriken. In diesem Setting lässt er seinen Protagonisten durch eine surreale Arbeitswelt irren, in der nichts ist, wie es scheint. Mit großem Einfallsreichtum entwirft Hirschl aberwitzige Szenarien digitaler Inhaltsproduktion, etwa wenn Mitarbeiter stundenlang Kuchen backen, nur um sie anschließend spektakulär zu zerstören.
Die Absurdität dieser Tätigkeiten spiegelt sich in der fragmentarischen Erzählweise wider. Immer wieder bricht Hirschl die Handlung durch eingeschobene Listen, Tweets oder Chatverläufe. So entsteht der Eindruck eines Bewusstseinsstroms, der die Reizüberflutung und Zerstreuung der digitalen Welt formal abbildet. Besonders gelungen sind die Passagen, in denen Hirschl die psychischen Auswirkungen dieser entfremdeten Arbeit auf seine Figuren beschreibt. Die Kollegin Karin etwa verliert sich zusehends in Wahnvorstellungen über die vermeintliche Bedeutung ihrer inhaltsleeren Texte. In solchen Momenten offenbart sich Hirschls feines Gespür für die Abgründe der menschlichen Psyche.
Elias Hirschl – Content als Sinn unseres modernen Lebens?
Doch „Content“ ist weit mehr als nur eine Milieustudie über die Arbeitswelt von Clickbait-Produzenten. Vielmehr nutzt Hirschl dieses Setting, um grundlegende Fragen nach Sinn und Identität in der digitalen Moderne zu verhandeln. Sein namenloser Protagonist sucht verzweifelt nach Halt und Bedeutung in einer Welt, in der alles austauschbar und ephemer erscheint.
Immer wieder reflektiert er über die Leere hinter den digitalen Fassaden und seine Sehnsucht nach echten Beziehungen und Erfahrungen. Dabei gelingt es Hirschl, die existenziellen Fragen seiner Figuren stets mit feinem Humor und Ironie zu verbinden. Etwa wenn der Protagonist darüber sinniert, dass sein Leben genauso bedeutungslos sei wie die von ihm produzierten Listicles – nur ohne Clickbait-Überschrift. Oder wenn er versucht, durch das Sammeln von Plastikkakteen wenigstens einen Hauch von Beständigkeit in sein Leben zu bringen.
Sprachlich bewegt sich Hirschl souverän zwischen verschiedenen Registern. Mal bedient er sich des Jargons der Social-Media-Welt, dann wieder findet er poetische Bilder für die Entfremdung seiner Figuren. Besonders eindrücklich sind die Passagen, in denen er die verfallende Industrielandschaft beschreibt und so eine Verbindung zwischen äußerem und innerem Verfall herstellt.
Mit „Content“ ist Elias Hirschl ein vielschichtiger Roman gelungen, der weit über eine bloße Satire auf die digitale Arbeitswelt hinausgeht. Vielmehr entwirft er das bestürzende Porträt einer Gesellschaft, die im Strudel bedeutungsloser Inhalte ihre Orientierung zu verlieren droht. Dabei verzichtet Hirschl auf einfache Schuldzuweisungen oder moralische Urteile. Stattdessen zeichnet er seine Figuren mit Empathie und lässt sie in all ihrer Widersprüchlichkeit und Verletzlichkeit erscheinen.
So ist „Content“ letztlich auch eine Geschichte über die Suche nach Nähe und Verbundenheit in einer zunehmend fragmentierten Welt. Hirschl findet dafür eindringliche Bilder, etwa wenn er seinen Protagonisten nachts einsam durch die verlassenen Straßen streifen oder verzweifelt nach menschlichem Kontakt in Dating-Apps suchen lässt. Mit großer erzählerischer Kraft und stilistischer Finesse ist Elias Hirschl ein Roman gelungen, der zentrale Fragen unserer digitalisierten Gegenwart verhandelt.
„Content“ ist kein einfacher, sondern ein quälend ehrlicher Roman über eine Generation, die zwischen den Ansprüchen von Leidenschaft und Realität zerrieben wird. Hirschl gelingt es meisterhaft, den Leser in diese Welt eintauchen zu lassen und ihn gleichzeitig zum Nachdenken über die Bedingungen moderner Arbeit anzuregen.
Elias Hirschl – Der Autor
Elias Hirschl wurde 1994 in Wien geboren, ist Romanautor, Slam Poet, Musiker und schreibt für Theater und Radio. Zuletzt erschien der Roman „Salonfähig“ (2021 – Zsolnay). 2020 wurde er mit dem Reinhard-Priessnitz-Preis für Literatur ausgezeichnet. Zusammen mit dem Rapper Selbstlaut bildet er seit 2021 das Musikduo „Ein Gespenst“. 2022 war er Stadtschreiber der Stadt Dortmund und gewann im selben Jahr mit dem Text „Staublunge“ den Publikumspreis beim Bachmannpreis in Klagenfurt.