Ingo Lie: Corona Tagebuch – Ein Blick in Isolation oder kreative Freiheit?

Der Lockdown hat für viele Menschen weltweit zu einem neuen Zuhause geführt, in dem Türen verschlossen waren, aber die Fenster noch offenstanden. Für den Hannoveraner Künstler Ingo Lie war dies eine Zeit der intensiven Beobachtung und tiefgründigen Betrachtung.

In seinem Buch Corona Tagebuch teilt er 41 Eintragungen, die von eindrucksvollen Digitalbildern begleitet werden. Dabei geht es ihm nicht nur um die Pandemie an sich, sondern um die großen existenziellen Fragen des Lebens und die Stellung des Menschen in der Schöpfung.

Dieses Werk bietet einen faszinierenden Einblick in die Gedankenwelt eines Künstlers während einer globalen Krise und lädt den Leser ein, über die tiefere Bedeutung unserer Existenz nachzudenken.

Ingo Lie, wie hast du den Lockdown persönlich erlebt und welche Auswirkungen hatte er auf dein tägliches Leben?

Der Lockdown hat mich mitten in meinem Umzug erwischt. Plötzlich lebte ich zwischen zwei Arbeitswelten und zwei Lebensabschnitten, was erhebliche Auswirkungen auf meinen Tagesablauf hatte. Da ich zuvor kaum einer festen Planmäßigkeit gefolgt war, war die Umstellung besonders herausfordernd.

Wie hat die Pandemie deine künstlerische Arbeit und deinen kreativen Prozess beeinflusst?

Meine Mal- und Zeichenutensilien waren bereits in den neuen Räumen, während Fernseher, Computer, Drucker und Papier noch in den alten Räumen verblieben. So verbrachte ich meine Tage mit Beobachtungen und verfolgte Nachrichten, Radio, TV, Onlinemagazine und soziale Medien. Zunächst machte ich mir nur Anmerkungen und erstellte digitale Bilder. Nach etwa einer Woche begann ich, ein Tagebuch zu führen.

Wie hat sich deine Sicht auf die Stellung des Menschen in der Schöpfung während der Pandemie verändert?

Meine Sicht hat sich um mindestens eine Facette erweitert. Ich begann, die Menschheit als eine Art Organismus zu sehen, vergleichbar mit einem Korallenriff. Diese Vorstellung war sowohl erschreckend als auch ernüchternd und amüsant. Die menschliche Hybris bröckelt. Allerdings habe ich schon lange daran gearbeitet, alles mit allem zu verbinden, was in Bildern noch besser gelingt.

Ingo Lie

Was hat dich dazu inspiriert, das „Corona Tagebuch“ zu schreiben und zu veröffentlichen?

Es waren die vielen Fragen von verschiedenen Seiten und das Stimmengewirr, das mich dazu brachte, Klarheit zu schaffen und Orientierung zu finden. Direkte Fragen in Telefongesprächen und E-Mails trugen ebenfalls dazu bei. Einige Eintragungen entstanden als Replik auf Posts in sozialen Medien, besonders auf Facebook.

Die Reaktionen darauf und die Anregungen von Freunden und Gesprächspartnern brachten mich schließlich auf die Idee, die Eintragungen und Bilder zusammenzufassen und als Künstlerbuch zu veröffentlichen.

Kannst du uns mehr über die 41 Eintragungen in deinem Buch erzählen? Was war dein Ziel dabei?

Es gab kein festes Ziel, sondern einen Weg. Die aktuellen Geschehnisse und Debatten weckten Erinnerungen in mir. Das Leben ist ein Kontinuum, und die Geschichte ist immer präsent. In einigen Einträgen tauchte ich tief in diese Erinnerungen ein, während andere Einträge mich selbst weckten.

Welche Rolle spielten die Bilder in deinem Buch und wie hast du diese erstellt?

In Bildern lassen sich Zusammenhänge und Ursprünge gut aufzeigen, auch wenn jedes Bild nur ein Ausschnitt des Ganzen ist. Mit roten und blauen Linien, die ich als Energiestrahlen verstehe, deute ich auf das immer Weitere und Größere hin. Darin finde ich auch eine gewisse Heiterkeit. Die Welt ist immer weiter, als wir sie aktuell sehen.

In deinem Buch behandelst du nicht nur die Pandemie, sondern auch existentielle Fragen des Lebens. Welche Fragen haben dich besonders beschäftigt?

Die Pandemie hat in zweierlei Hinsicht erschreckt, verängstigt und empört. Sie drohte jedem Menschen unabhängig von seiner gesellschaftlichen Position mit der Todesstrafe und rief gleichzeitig eine urtümliche Abwehr hervor. Diese Abwehr richtete sich nicht nur gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit, sondern gegen die Entwicklung des Lebens selbst.

Irgendwann stellte sich die Frage, gegen was eigentlich gekämpft werden muss, und der Überblick ging verloren. Am Ende kämpfte man nur noch mit den Derivaten von Leben und Tod, und die Diskussionen um Impfungen wurden zu einem zentralen Thema.

Was möchtest du, dass die Leser aus deinem „Corona Tagebuch“ mitnehmen?

Gelassenheit? Entspannung? Nein, vielmehr Gespanntheit und Neugier. Das Leben probiert sich aus, und es hat auch den Menschen erfunden, der nun das Leben ausprobiert.

Das Buch ist direkt über den Künstler erhältlich: https://www.ingo-lie.de/

Zu dem Buch werden in nächster Zeit Lesungen stattfinden, in Hannover, aber auch in anderen Städten. Diese werden rechtzeitig auf der Webseite angekündigt.

Die beiden Porträtfotos sind von Reinhard Weber.

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