Warum wir Wohlstand, Gesundheit und Arbeit neu denken müssen
Tim Jackson legt mit „Ökonomie der Fürsorge“ ein ambitioniertes Werk vor, das eine grundlegende Neuausrichtung unseres Wirtschaftssystems fordert. Der renommierte Ökonom und Nachhaltigkeitsforscher argumentiert überzeugend, dass Wohlstand primär durch Gesundheit und nicht durch materiellen Reichtum definiert werden sollte. Daraus leitet er ab, dass sich die Wirtschaft fundamental am Prinzip der Fürsorge orientieren müsse.
Tim Jackson entwickelt seine These anhand persönlicher Erfahrungen, historischer Exkurse und aktueller Beispiele. Er beginnt mit einer Reflexion über den Begriff der Gesundheit und grenzt ihn von bloßer Schmerzfreiheit oder Euphorie ab. Anschaulich schildert er die verheerenden Folgen der Opioid-Krise in den USA, die aus einer Profitorientierung im Gesundheitswesen resultierte.
Dynamiken
Ein Kernargument des Buches ist, dass Gesundheit ein dynamischer Zustand des Gleichgewichts sei, ähnlich den Gezeiten des Meeres. Jackson veranschaulicht dies am Beispiel der Körpertemperaturregulation und des Kaltwasserschwimmens. Er zeigt auf, wie der menschliche Organismus ständig um einen optimalen Zustand ringt – eine Analogie zur Wirtschaft, die er im weiteren Verlauf des Buches ausarbeitet.
Jacksons Analyse der historischen Entwicklung des Gesundheitswesens sticht besonders hervor. Er zeichnet eindrucksvoll nach, wie sich das Verständnis von Krankheit und Heilung im Laufe der Jahrhunderte verändert hat. Dabei beleuchtet er auch kritisch den wachsenden Einfluss ökonomischer Interessen auf die Medizin. Mit Mut zur Kontroverse thematisiert Jackson die zunehmende Kommerzialisierung des Gesundheitssektors und scheut sich nicht, unbequeme Fragen zu stellen.
Rollen
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Rolle von Geschlecht und Gewalt in der Ökonomie. Jackson argumentiert überzeugend, dass das vorherrschende Wirtschaftssystem von einer „toxischen Männlichkeit“ geprägt sei, die Fürsorge systematisch abwerte. Seine Forderung nach einer grundlegenden Neuausrichtung wirtschaftlichen Denkens und Handelns wird dadurch besonders dringlich.
Stilistisch besticht das Buch durch eine gelungene Mischung aus persönlicher Erzählung, wissenschaftlicher Analyse und gesellschaftspolitischer Reflexion. Jackson versteht es, komplexe ökonomische Zusammenhänge anschaulich darzustellen und mit lebensnahen Beispielen zu illustrieren. Die Kapitel sind sorgfältig aufeinander aufgebaut und führen den Leser Schritt für Schritt zu Jacksons zentraler These.
Kritik
Jacksons Darstellung alternativer Wirtschaftsmodelle bleibt stellenweise unscharf. Eine detailliertere Ausarbeitung der konkreten Implikationen und Umsetzungsmöglichkeiten seiner Vision wäre wünschenswert gewesen. Zudem hätte eine intensivere Auseinandersetzung mit potenziellen Gegenargumenten die Argumentation gestärkt.
Tim Jacksons „Ökonomie der Fürsorge“ ist ein wichtiges Werk, das gekonnt eine zentrale Frage unserer Zeit behandelt: Wie können wir Wirtschaft und Gesellschaft so umgestalten, dass Gesundheit und Wohlbefinden im Mittelpunkt stehen? Der Autor verbindet gekonnt theoretische Analysen mit konkreten Handlungsansätzen und macht das Buch damit sowohl für Experten als auch interessierte Laien zugänglich.
Ökonomie über die Vision hinaus
Jackson meistert die Herausforderung, ein komplexes Thema zugänglich zu gestalten. Er regt seine Leser nicht nur zum Nachdenken an, sondern motiviert sie auch zum aktiven Handeln. Sein überzeugender Entwurf einer neuen Wirtschaftsordnung priorisiert Fürsorge und Nachhaltigkeit gegenüber dem reinen Wachstumsparadigma. Damit gelingt es ihm, eine Vision zu vermitteln, die über konventionelle ökonomische Denkweisen hinausgeht und eine ganzheitlichere Perspektive auf wirtschaftlichen Erfolg eröffnet.
Verlag: oekom verlag, München
Erscheinungsjahr: 2025
ISBN: 978-3-98726-100-8