Bitte stelle Dich kurz vor:
Ich bin diplomierter Industrial Designer, das heißt ich entwickele und erfinde Produkte, die industriell gefertigt werden. Ich bin mit Annette Behnken – einer ganz wunderbaren Theologin – verheiratet und lebe in Wennigsen mit einer ganz lebendigen Patchworkfamilie.
Was machst Du beruflich, wo liegt dabei der Fokus?
Als Professor für Industrie Design Entwurf lehre ich heute vornehmlich Entwurfsprozesse und kreative Strategien. Meine Schwerpunkte liegen dabei im Bereich nachhaltiger Innovation, Prozesse und Personen und z.B. dem Design Thinking. Als Initiator des Entrepreneurship-Center der Hochschule Hannover – Nexster – beschäftigt mich die Förderung sog. Future Skills: wie werden Personen kreativer? Wie erlernen sie kritisches, problemsensibles Denken? Wie halten sie durch und können sich auf die vielzitierte VUCA-Welt einstellen? Und wie können Menschen in Zeiten von Weltkrisen eigeninitiativ Welt erzeugen?
Und als Mitgründer der innotonic GmbH interessiert mich zweierlei: wie können wir sicherstellen, dass das Neue auch wirklich in der Welt wirksam wird? Mit Kollegen haben wir da eine sog. innoventur entwickelt, die auf Basis des Innovationsmanagement-Standards den Innovations-Fahigkeits-Status-Quo einfach und schnell ermitteln kann. Und das Zweite ist etwas sehr Persönliches: wenn Innovationsmanager den Standard als Regelinstrument für Kreative missbrauchen wollen, wird das schief gehen. In den Kursen der Innotonic Akademie versuchen wir daher das Regelwerk einerseits, aber auch die Governance der Kreativen zu schulen, besser für diese Spezies (lacht) zu sensibilisieren.
In welchem Bereich fühlst du dich am wohlsten und warum?
Im Verstehen eines Problems und seiner Entwicklungsfelder, noch mehr aber in der Ideenentwicklung: während zunächst Umsicht erforderlich ist, ist die Ideenfindung doch eine wahre Wonne. Das Leben erscheint dann so reich, so voller Möglichkeiten, so divers und inspirierend. Für mich, ich bezeichne mich da gerne als Vielfalter, eine Energiequelle, die mich auch auf eine bessere, friedlichere und weniger ausbeuterische Welt hoffen lässt.
Viele Menschen spüren, dass sich die Welt um sie rasant schnell verändert. Wir nimmst Du dies wahr, was sind Deine Konsequenzen?
Ja, die Welt ist im Wandel. Sicherlich auch schnell, die Welt wird als flüchtig und unsicher wahrgenommen, auch als zunehmend komplex und mehrdeutig. Ob das früher weniger rasant oder weniger komplex war, mag ich nicht beurteilen. Es ist jeweils so, wie wir es eben empfinden und der Vergleich bringt uns nicht weiter. Du fragst nach meiner Wahrnehmung und nach meinen Konsequenzen: ich nehme zuerst einmal wahr, dass Menschen die Gegenwart eben als herausfordernd empfinden.
Da sich die Welt immer auch verändert hat, dürfte der Wandel immer auch etwas Verunsicherndes gehabt haben. Mit Verlierern und mit Gewinnern. Neu ist heute der Einfluss digitaler Medien auf den öffentlichen Diskurs. Betrachte ich manch empörte Kommentare in den Threads einschlägiger Organe habe ich das Gefühl, dass die Gesellschaft hier in weiten Teilen in einen Affekt schlittert, der selten produktiv oder problemlösend ist.
Es scheint einfacher zu sein, auf die Straße zu gehen, simplen Botschaften zu folgen, als selbständig an neuen Ideen, an Antworten auf drängende Fragen, an Lösungen der Weltkrisen sei es auch nur im persönlichen Umfeld zu arbeiten. Ohnmacht macht sich breit, tragischerweise auch dort, wo jede Einzelne noch Handlungsoptionen hat.
Deshalb ist meine Konsequenz: ich überprüfe immer wieder neu meine Haltung und mein Handeln. Und ich nutze die Fähigkeiten und Möglichkeiten, die ich habe, um viele, viele Menschen problemsensibler und kreativer zu machen. Ich bin überzeugt, dass wir nicht in den Affekt absacken, wenn wir unseren eigenen kreativen Kräften trauen und wissen, dass uns schon noch etwas einfallen wird. Kreativ ist letztlich jeder, Kreativität ist ein untrennbarer Bestandteil des Denkens.
Welche Geschäftsmodelle haben in Zukunft die besten Chancen?
Ich hoffe auf soziale Innovationen und damit auch auf soziales Unternehmertum. Die Geschäftsmodelle für Social Entrepreneurs allerdings sind nicht zu unterschätzen: sie sind verteilter, vernetzter als zuvor. Ich halte es aber für wichtig, diesen Weg zu gehen, da soziale Innovationen die Kraft haben, die Gesellschaft zusammenzuhalten, denn nur in wechselseitiger Verbundenheit werden wir künftigen Herausforderungen entsprechen können.
Und den Raubtierkapitalismus von einst, der unbedingte Fortschrittsglaube und das immanente Wachstum ist längst an seine Grenzen gelangt. So brauchen wir gänzlich neue Modelle des wirtschaftlichen Miteinanders, soziales Unternehmertum könnte dafür Impulse setzen – wenn sich nicht lediglich Quersubventionierungen mit sozialem Anstrich dahinter verbergen und bspw. Menschen mit Behinderungen würdelos behandelt werden.
Was war für Dich eine besonders gute Erfahrung während der bisherigen Corona-Pandemie?
Tatsächlich habe ich an mir selbst erfahren, was ich oben erwähnte: die Kreativität im Blick, das Gespür am Problem und der Zeit kann helfen und vitalisieren! Dass ich zwar eine Ohnmacht gegenüber den Ereignissen empfand, aber eben doch in der Krise dann meine Kreativität nutzen konnte und aus dem anfänglichen Schock, der folgenden Ernüchterung dann doch deutlicher schneller herauskam, hat mich beruhigt.
In der produktiven Phase war ich schneller als andere, konnte nach 22 Jahren an der Hochschule Hannover meine Lehre grundsätzlich erneuern, erproben und auch online mit Videokonferenzen, digital-kollaborativen Werkzeugen und postalisch versandten Dingen überzeugen (es gibt ja Evaluationsberichte). Ich muss zugeben, dass es unglaublich arbeitsintensive Zeiten gab, doch der Erschöpfung wohnte immer auch Erfüllung inne.
In einer Zeit, in der bisher definierte Berufsbereiche immer mehr ineinander übergehen und sich gemachte Erfahrungen im neuen Kontext verändern: wie politisch und/oder gesellschaftlich muss/darf unsere Arbeit sein?
Ich muss da spontan an Kants grundlegendes Prinzip des moralischen Handelns denken. Dazu gehört natürlich die eigene Arbeit zumindest auch als Teil eines gesellschaftliche Beitrages zu verstehen. Das gilt für den Tischler, die Schlosserin genauso wie für die Lehrerin oder den Pfleger. Politisch wird es sicher auch, insbesondere dann, wenn Entscheidungen für oder gegen etwas zu fällen sind.
Hier mag die Vergangenheit einst einfacher gewesen sein: als sich Berufsbilder klarer voneinander abgrenzten. Heute aber finden Innovationen – und die brauchen wir! – zunehmend an Branchenrändern statt und das hat seinen Einfluss auch auf die Berufsbilder. Es braucht trans-(nicht inter-)disziplinäre Talente, das wiederum benötigt eher Haltung als einen breiten Methodenkoffer.
Eine Bemerkung noch zum Design, zu meiner Disziplin. Gerade weil ich die Diskussionen auch im Kollegium hatte, wo Personen meinen am Industrie Design von einst festhalten zu müssen. Da wird ausgeblendet, was mit der Produktwelt passiert ist: mit einer beliebigen Fertigung in Übersee, mit Datenträgern in Form von Hörgeräten oder Automobilen. Und es wird negiert, dass Design natürlich eine ganz erhebliche politische und gesellschaftliche Relevanz hat und nicht nur deshalb eine soziale Disziplin ist.
Die Entwürfe unserer Zunft, ganz gleich ob bspw. Grafik-, Mode- oder Produktdesign, überschwemmen unseren Planeten, plündern ihn aus und es steht in unserer Verantwortung Lösungen zum Wohl künftiger Generationen zu entwickeln. Der Verbreitungsgrad kann damit im Guten ein politisch-gesellschaftliches Statement sein, und so sollten wir es nutzen.
Was war für Dich eine besonders gute Erfahrung? Was ist Dir im Job besonders gut gelungen? Was war für Dich eine völlig neue Erfahrung?
Eine? Nur eine? Was mir besonders gut gelungen ist, müssen andere beurteilen. Eine gute Erfahrung aber, waren tatsächlich tränenreiche Momente: als sich Praxispartner endlich verstanden fühlten, als sich Seniorinnen und Senioren in der Arbeit mit Studierenden zu Tränen gerührt überrascht zeigten, dass junge Menschen tatsächlich mit Älteren zusammenkommen und reden möchten. Die herzliche Dankbarkeit südostasiatischer Studierender, denen ich mit dem kreativen Denken wohl ”ein Tor zum Paradies“ öffnete.
Eine völlig neue Erfahrung? Hm, ich betrachte den Zukunftsprozess der Landeskirche Hannovers mit großem Interesse. Ich finde das Zukunftsteam hat mit seiner Beteiligungsplattform einen famosen Start hingelegt und wünsche mir, dass es der Landeskirche Hannovers gelingt, sich zu erneuern. Völlig neu war für mich die zum Teil empörte Kritik aus den eigenen Reihen dieser so großen Institution.
Nicht, dass mir diese Kritik völlig fremd vorkam. Aber dass es diese Kritik am Wandel auch heute noch immer gibt, hat mich erschrocken. Auch hier nehme ich den Affekt wahr, den ich oben ansprach. Und die Sehnsucht, doch das alte Vertraute zu schützen, kann ich gut nachvollziehen.
Jedoch nimmt der Reflex des Festhaltens vieles in den Würgegriff und nimmt die Lebendigkeit. Wenn man mich nach dem Neuen fragt, bejahe ich – mit den Worten Bubers: es gibt kein Zurück, sondern nur ein verstehendes Hindurch. Ein Verstehens Hindurch mit Wertschätzung gegenüber dem Wertvollem und Weiterwirken des Wertvollen hinein in die Zukunft.
Welche Tools arbeiten für Dich sinnvoll, womit erleichterst Du Deinen Alltag?
Das Smartphone ist ein unfassbar wichtiges Instrument geworden. Ein Stift verweist mich auf meine Leidenschaft des Zeichnens. Dazwischen gibt es noch digitale Whiteboards, die das kreative Arbeiten sehr effizient machen und mir ein willkommener Gegenpol zu Zellen, Zeilen, Spalten sind.
Hast Du ein Motto? Wenn ja, welches?
Da fällt mir ein Zitat von Wolf Biermann ein: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. (Manchmal nervt mich das auch.)
Wo findet man dich in den sozialen Netzwerken?
Instagram:
https://www.instagram.com/spllmyr/
https://www.instagram.com/innotonicgmbh/
https://www.instagram.com/spellmeyerdesign/
https://www.instagram.com/ma_designundmedien/
https://www.instagram.com/mit.guten.gruenden/
https://www.linkedin.com/in/spellmeyer/
https://www.linkedin.com/company/nexster-entrepreneurship-center/
https://www.linkedin.com/company/innotonic/
https://twitter.com/__spellmeyer
Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Gunnar_F._H._Spellmeyer
Weitere Links zu genannten Themen:
innotonic GmbH
innotonic GmbH – Innoventur
https://innotonic.de/produkt-und-service/innoventur/
innotonic GmbH – Akademie
https://innotonic.de/produkt-und-service/akademie/
Annette Behnken https://de.wikipedia.org/wiki/Annette_Behnken
VUCA-Welt https://stephangrabmeier.de/bani-vs-vuca/
Welt erzeugen https://master-dm.de/studiengang/
Zukunftsprozess der Land.Kirche https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/zukunft
Beteiligungsplattform https://www.zukunftsprozess.de
1 Gedanke zu „Zukunft ist permanente Herausforderung der Gegenwart – ein Gespräch mit Prof. Gunnar Spellmeyer“